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Bericht 41 +++ Im Reich der Han-Chinesen +++ Unser Jahr in China +++ Teil 1

Zeitlich haben wir die längste Zeit auf unserer mittlerweile über 3 Jahre andauerden Radreise in China verbracht. Abgesehen von den rund 1.500 km durch die Provinzen Xinjiang und Tibet im Jahr 2005 haben wir in China von August 2006 bis September 2007 11.114 km auf den Sätteln unserer Fahrräder verbracht. 6.415 km von Westen nach Osten, von der pakistanischen Grenze bis Beijing, und 4.699 km von Norden nach Süden, von Beijing bis zur laotischen Grenze.

Insgesamt besteht China aus 22 Provinzen, 5 autonomen Gebieten wie Tibet, und anderen Verwaltungszonen wie Beijing und Hongkong. Es ist das drittgrößte Land der Erde mit der höchsten Population von 1,3 Milliarden Menschen. China setzt sich aus 56 ethnischen Gruppen zusammen. Mit 92% stellen die Han-Chinesen den weitaus größten Teil der Bevölkerung. Sie sind gemeint, wenn Spötter im Westen von "Schlitzaugen" oder "der gelben Gefahr" reden. Diese Mehrheit regiert mit seiner kommunistischen Regierung das Land mit eiserner Faust und unterdrückt Minderheiten wie Uiguri und Tibeter. Es wird gemutmaßt, dass hierzulande bis zu 10.000 Todesurteile (die genaue Zahl weiß niemand) pro Jahr vollstreckt werden, viele davon aus politischen Gründen, um das Land unter Kontrolle zu halten. Natürlich erfährt die Weltöffentlichkeit nur wenig davon. China übt starke Kontrolle auf ins Land kommende Ausländer aus und versteht es geschickt die Touristen in bestimmte Orte zu lenken und von anderen fernzuhalten. Manche Gebiete sind völlig gesperrt, andere nur mit Genehmigung bereisbar. Für Ausländer mit dem Auto oder Motorrad durchs Land zu reisen ist nur mit chinesischer Begleitung oder Eskorte erlaubt und ist fast unbezahlbar. Am liebsten sehen die Chinesen die Touristen in großen kontrollierbaren Gruppen. Individualtouristen, die das Land mit dem Fahrrad bereisen sind für die Regierung ein Problem.

Als wir nach Xi'an radelten, trafen wir einige chinesische Freunde, die versprachen uns Jobs zu besorgen, um unsere Reisekasse auffüllen zu können. Doch wir wurden nur als aus dem Westen kommende Kuriositäten vorgeführt, die mit dem Fahrrad das Land durchqueren, und wurden ständig zum Essen eingeladen. Man schmückt und zeigt sich hier gerne mit Westlern, da das Land seine eigene Identität verloren hat, alles was wir machen wird gnadenlos kopiert und man spürt allerorten, dass die Leute gerne so wären wie wir. Der Job als Englischlehrer, den ich nur an Wochenenden ausüben konnte, lohnte sich nicht wirklich und letztlich konnte mir der Schulleiter nur die Hälfte des versprochenen Lohnes auszahlen.

So setzten wir unseren Weg zur Hauptstadt Beijing fort, um dort von den jeweiligen Botschaften unsere neuen Reisepässe abzuholen und neue chinesische Visa zu beantragen. Dies war mit Abstand der unerträglichste Teil unserer langen Radreise. Es führte von der ehemaligen Hauptstadt Xi'an durch die nordöstlichen Provinzen Shaanxi, Shanxi und Hebei zur heutigen Hauptstadt Beijing (früher Peking) und zurück nach Xi'an. Mit einer Population von über 150 Millionen Menschen auf einer Fläche von 560.000 qkm mit 268 Einwohnern pro Quadratkilometer (Deutschland 231 Einw/qkm) eine der dichtbevölkertsten Gebiete der Erde.

Bei Xi'an, ehemalige Hauptstadt mehrerer kaiserlicher Dynastien, besuchten wir die weltberühmte Terracottaarmee. Der 2000 Jahre alte und erst 1974 entdeckte Fund wird nach und nach ausgegraben und restauriert. Er zeigt hunderte von tönernen Kriegern und Pferden in Kampfformation. Durch Konservierung in der Erde waren die originalen Waffen, die sie trugen noch scharf.

Um dem ätzenden Verkehr auf den Hauptstraßen zu entkommen und ungestört zelten zu können, benutzten wir häufig Nebenstraßen und kamen in Gebiete, wo nach Meinung der chinesischen Polizei Ausländer nichts zu suchen haben. Des Öfteren wurden wir von der Polizei angehalten und gezwungen von den Nebenstraßen auf die Hauptstraßen zurückzukehren. Häufig drangen die Polizisten des Nachts in unsere Hotelzimmer ein, kontrollierten unsere Pässe und wir wurden in andere teurere Hotels gebracht, wohl um uns besser unter Kontrolle zu haben. Dabei wurde uns immer ein verstaubtes Gesetzheftchen aus dem Jahre 1986 unter die Nase gehalten, mit dem wir schon in Tibet Bekanntschaft gemacht hatten. Immer die gleiche Seite wird aufgeschlagen auf der in Englisch steht, dass wir uns in einer für Ausländer verbotenen Zone befinden würden, und wir eine Strafgebühr zu entrichten hätten. In diesen Situationen behaupteten wir immer, dass das für Ausländer zuständige PSB (Public Security Bureau) in Xi'an auf unsere nachdrückliche Nachfrage uns versichert hätte, dass die Provinzen Shaanxi, Shanxi und Hebei für Ausländer offen seien. Das stimmte natürlich nicht, ein Trick um die Polizei aus Respekt vor höheren Autoritäten in hoffnungslose Verwirrung zu stürzen. Hinzu kam, dass meist ein Englischlehrer als Dolmetscher hinzugezogen werden musste und den Polizisten es peinlich war, dass sie selbst in den für Ausländer zuständigen PSB-Büros kein Englisch sprachen. Nach langen Diskussionen konnten wir immer unsere Reise fortsetzen, ohne je einen Cent zu bezahlen. Im Rückblick für uns erstaunlich ist, dass wir niemals, weder von Polizei noch Militär schlecht behandelt wurden. Sie fingen niemals an zu schreien und sie versuchten nie uns auf andere Weise einzuschüchtern. Und wir bekamen immer Tee oder heißes Wasser serviert.

Nahe der kommunistischen Pilgerstätte Ya'nan, wo Mao Tze-Tung eine lange Zeit lebte, entstand ein irreparabler Schaden an der Vorderachse von Linas Rad, 350 km nördlich von Xi'an. Teile von Shimano in dieser Gegend zu bekommen war unmöglich, so mussten wir uns mit einer chinesischen Achse begnügen und speichten das Vorderrad neu ein. Wir trauen keinem chinesischen Produkt und so setzten wir die Reisegeschwindigkeit der verbliebenen 1.000 km bis zur Hauptstadt Beijing deutlich herab.

Die Leute auf dem Land sind arm, ungebildet und haben sehr schlechte Zähne. Wir waren in Gebieten, wo die Leute dem Anschein nach noch niemals Ausländer gesehen haben. Die Leute rückten uns so eng auf die Pelle, dass regelmäßige Aggressionsausbrüche unsererseits die Folge waren. Als wir einmal in einem kleinen Dorf in einem Restaurant unsere täglichen, für das Radeln unerlässlichen, kohlenhydratreichen gebratenen Nudeln "Chowmein" verspeisen wollten, kamen Dutzende von Leuten angerannt und drückten sich die Nasen platt an den Fensterscheiben, was für eine "Prominenz" denn dort in ihrem Dorf residierte. Selbst alte Leute kennen hier keine Scham und starrten uns an, als wären wir Fische in einem Aquarium. Das verdarb uns gründlich den Appetit. Selbst die Restaurantbesitzer wurden der Lage nicht mehr Herr und konnten die Leute nicht vertreiben Später kam eine Fotografin, um Bilder mit uns zu machen. Wir ließen dieses Prozedere geduldig über uns ergehen. Für dieses "Shooting", und wohl auch als Entschädigung für das Gegaffe der Leute, bekamen wir die Nudeln umsonst.

In der Shaanxi Provinz kamen wir in ein Militärgebiet. Obwohl wir uns sicher wieder einmal in einer verbotenen Zone befanden, wurden wir von den Wachtposten vor den Kasernen freundlich begrüßt. Garnisonen von Panzern wirbelten mit ihren Manövern Tonnen von Sand in die Luft und Soldaten hielten Schießübungen ab. Ein kurzes Stück war für uns besonders unangenehm. Links der Straße lagen Soldaten in Kampfstellung mit ihren Gewehren auf dem Boden. Rechts der Straße lief ein Soldat mit einer menschlichen Pappsilhouette auf und ab, auf die die Soldaten zielten und schossen, und das mitten über die Straße. Die Gewehre waren nicht geladen aber wir hörten das Klicken der Schussbolzen. Wir fühlten uns extrem unwohl, als wir diese Schusslinien mit unseren Fahrrädern kreuzen mussten. Wir waren ein wenig erleichtert, als die Soldaten uns freundlich zuwinkten, sie hielten unsere Ängste wahrscheinlich für völlig unbegründet. Ein Soldat rief, einen Augenblick mit seinen Schießübungen innehaltend, fröhlich lachend "Welcome to China!"

Nachdem wir den "Gelben Fluss" (er ist tatsächlich gelb und sein wirklicher Name ist "Huang He") überquert hatten kamen wir in das drittgrößte Kohlenabbaugebiet Chinas, groß genug um uns die Freude am Radeln gründlich zu vermiesen. Die Lastautos werden hoffnungslos überladen und ständig fiel Kohle auf die Straße. Die Leute in den Dörfern werden der Lage nicht mehr Herr, die Straßen werden nicht mehr gefegt, sondern der Dreck muss weggeschaufelt werden, die Lastwagenfahrer sind schwarz von Kohle, so auch wir. Manchmal waren wir schon nach wenigen Minuten schwarz im Gesicht. Um Heizkosten brauchen sich die Leute hier keine Gedanken zu machen, sie brauchen das "Schwarze Gold" nur von der Straße aufzusammeln.

In diesen Provinzen hat die Kulturrevolution besonders schlimm gewütet. Ohne Übertreibung sehen fast alle Städte und Dörfer gleich aus. Die kommunistische Einheitsarchitektur bietet nichts, woran sich das Auge erfreuen könnte. Ein Gebäude gleicht dem anderen, alle Gebäude haben im Erdgeschoss garagengroße Räume ohne Fenster, die des Nachts mit metallenen Rolltoren verschlossen werden. Darüber gibt es 1-2 Etagen Wohnräume. Die Familien bewohnen durchschnittlich etwa 2 dieser garagenartigen Räume und wohl noch einige Zimmer darüber. Hier findet das ganze Leben statt. Die Leute wohnen und schlafen in diesen "Garagen", Restaurants, Geschäfte und Werkstätten sind hier eingerichtet. Gemütlichkeit ist hier ein Fremdwort. In den Restaurants gibt es keinerlei Handarbeit oder Kunst in den Räumen und an den Wänden, nur geschmacklose Poster von verschiedenen Esswaren und Alkoholika oder Fotografien von schönen chinesischen Landschaften, die es in diesem Gebiet längst nicht mehr gibt. Aber überall steht ein Fernseher mit 12 Kanälen der dominierenden Fernsehanstalt CCTV und vielen anderen chinesischen Sendern, auch das Denken der Menschen wird staatlich kontrolliert. Der Sender CCTV 7 ist rein militärisch und läuft rund um die Uhr. Das Militär wird in China glorifiziert, wie wir es noch in keinem Land zuvor erlebt haben. Mao Tse-Tung hat mit seiner Kulturrevolution den Gedanken an die Schönheit des Lebens in Form von Kunst und Religion auf lange Zeit ausgerottet, nur was nutzt bestimmt noch das Leben der Leute. Der Buddhismus ist auch bis hierhin vorgedrungen, doch die Pagoden in den Zentren der Städte, die Relikte des Buddha enthalten sollen, und erstaunlicherweise nicht vernichtet worden sind, sind nur noch Anschauungsobjekte, und es findet hier keinerlei religiöse Aktivität mehr statt. Der Großteil der Han-Chinesen sind Atheisten, die das Geld und den Reichtum zu ihrem Gott gemacht haben. Einmal kamen wir in ein Gebiet mit einigen Tempeln, in denen neben der Naturreligion des Taoismus eine verfettete Version des Buddha angebetet wird. Buddha war Asket, und diese Figur hat mit dem historischen Buddha nichts zu tun und ist eine Erfindung der Chinesen. Typisch für dieses Volk soll dieser Buddha ihnen Glück in Form von Wohlstand und Reichtum einbringen.

Als wir in das Gebiet von Beijing einradelten, kamen wir in eine völlig andere Welt. Die Leute starrten uns nicht mehr an, die Straßen waren sauber, nirgendwo lag Müll herum, es hatte mit dem China wie wir es kennengelernt hatten nichts mehr zu tun.

Wir zogen bei unserem deutschen Freund Klaus ein, der in einer komfortablen 2-stöckigen Wohnung im Zentrum Beijings lebte. Er hatte in der deutschen Botschaft gearbeitet und laut seiner Aussage ist es, wenn man in Beijing lebt, laut eines Arztes in der deutschen Botschaft, so als wenn man 7 Schachteln Zigaretten täglich rauchen würde. Der Smog ist tatsächlich sichtbar, die Sonne hängt auch an klaren Tagen nur als trübe rote Scheibe am Himmel. Hier finden 2008 die Olympischen Spiele statt, während dieser Zeit sollen die Fabriken abgestellt werden, in dieser smoggeschwängerten Luft wären sie sicherlich nicht durchführbar.

Wir holten unsere neuen Pässe ab und beantragten neue Visa über einen Visaagenten. Der sehr kompetente, perfekt englisch sprechende, selbstständig arbeitende Mann, kam zu uns in die Wohnung, holte die Pässe ab und stellte uns für zusammen 216 Euro binnen 6 Tagen Businessvisa (F-Visa) für 6 Monate aus. Als er uns die Pässe ablieferte, sagte er uns, dass wir die Businessvisa so oft verlängern könnten, wie wir wollten, also wäre ein unbegrenzter Aufenthalt in China möglich gewesen. Mit den richtigen Verbindungen und dem nötigen Kleingeld ist in China scheinbar alles machbar.

Als Highlight empfanden wir in China den Besuch der Chinesischen Mauer. 3.000 km soll sie lang sein und bei Beijing ist sie am eindrucksvollsten. Sie wurde gebaut, um das Kaiserreich vor den Mongolen und anderen feindlichen Völkern zu schützen. Etwa 10 km war es uns vergönnt auf diesem Monument zu wandern, vieles ist verfallen, einiges wird wieder restauriert. Sie windet sich über die höchsten Berge, damit sie den Chinesen die bestmögliche Position für eine Verteidigung bot. Es war beeindruckend zu sehen, wie sich dieses Bauwerk Dutzende von Kilometern über die Berge zieht.

In jeder größeren Stadt gibt es moderne Supermärkte mit einer mannigfaltigen Auswahl von Waren. Auf den ersten Blick scheint es hier alles zu geben, was Körper und Herz begehren. Doch der Schein trügt. Wir haben wirklich fast alles ausprobiert, was es hier zu kaufen gibt, zum Schluss beschränkte sich unser Konsum nur noch auf schales schwachprozentiges chinesisches Bier, und unter Lizenz hergestellte Pepsi-Cola und Nescafé. Alles andere war ungenießbar. Es gibt ganze Regale verschiedener Sorten von Schnaps, meist schön verpackt in rot-goldenen Kartons. Der Geschmack ist widerlich und alle Sorten schmecken ähnlich. Der Wein ist gepanscht, das Bier wässrig. Käse gibt es nicht, die angebotenen Kekse und Kuchen sind pappig und ohne Geschmack. In Beijing, wie in fast allen chinesischen Großstädten gibt es einen großen Supermarkt der französischen Kette "Carrefour" mit ausländischen Produkten. Erwartungsvoll steuerten wir in diesen Supermarkt in der Hoffnung, uns wenigstens in der Hauptstadt ein Stück Heimat erkaufen zu können. Wir wurden bitter enttäuscht. Selbst in dieser angeblich so freien und sich der Welt öffnenden Olympiastadt gab es nur 2-3 Regale mit überteuerten Produkten aus dem Ausland. Der Rest des Marktes war mit den gewohnten chinesischen Waren vollgestopft. Die Chinesen importieren so gut wie keine ausländischen Produkte. Fast alles was die Chinesen konsumieren wird in China hergestellt, ein großer Teil exportiert. Der Wirtschaftsboom ist gewaltig. Die hohe Arbeitslosigkeit in unseren Ländern haben wir wohl selbst verschuldet, wegen unserer Gier nach Billigprodukten aus China. Und die Chinesen reiben sich die Hände.    andreaslina@yahoo.de




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