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Bericht 36 +++ Oktober 2006 +++ Erneuter Rahmenbruch +++ Zwangspause in Qarkilik und Korla

"Bitte erschrick jetzt nicht, dein Rahmen ist wieder gebrochen" sagte Lina, die zum Schutz vor der Sonne im Schatten meines Fahrrads auf den Asphalt hockte, als ich von einer meiner zahllosen wässrigen Darmentleerungen aus dem Schutz einer Sanddüne in der Taklamakanwüste zur Straße zurückkehrte. Über dem Tretlager des Aluminiumrahmens zeichnete sich tatsächlich ein feiner Riss an der Schweißnaht ab. Wir waren mitten in der Wüste.

200 Kilometer weiter brach er in der kleinen Oasenstadt Qarkilik dann vollständig durch, 300m vor dem nächsten Hotel. In diesem Fall kann man sogar vor Glück sprechen. Ironischerweise brach der Rahmen im letzten Jahr an genau der gleichen Stelle: über dem Tretlager in derselben chinesischen Provinz Xinjiang. Ein Rahmenbruch ist der sogenannte Super- GAU an einem Fahrrad und in unserem Fall leider irreparabel. Wir konfrontierten den Hersteller unserer Fahrräder in Deutschland mit unserem Problem, und wie im letzten Jahr war er sofort bereit uns unentgeltlich per Kurier einen neuen Rahmen zuzuschicken.

Die rund 400.000 Einwohner zählende Stadt Korla in der Provinz Xinjiang im Westen Chinas ist -trotz ihrer Größe und Bedeutung für das Umland- mangels Touristenattraktionen selbst in den bekanntesten Reiseführern nicht zu finden. Als wir hier aus dem Bus stiegen erlitten wir einen regelrechten Kulturschock nach den katastrophalen Verhältnissen in Indien und Pakistan. Die reichen Öl- und Gasvorkommen in der Region haben der Stadt enormen Wohlstand eingebracht, die vielen Hochhäuser erinnerten uns ein wenig an Frankfurt.

Fahrräder samt Gepäck hatten wir wegen des erneuten Rahmenbruchs in der 480 km südlich gelegenen kleinen Wüstenstadt Qarkilik zurückgelassen. Niemand in Qarkilik war in der Lage uns den Namen unseres Hotels in lateinischen Buchstaben aufzuschreiben, und in Deutschland werden chinesische Schriftzeichen nicht verstanden. So wie lateinische Buchstaben in China nicht verstanden werden. Das macht den Versand von Waren nach China so schwierig. Das Paket hing über zwei Wochen im Zoll von Beijing.

Endlich hatten wir, dank der Hilfe eines Engländers namens David, unseren Rahmen bekommen. David lebt schon 4 Jahre in Korla, er hat sich in einer komfortablen Vierzimmerwohnung für umgerechnet 60 Euro im Monat eingemietet und nahm uns wohlwollend auf. Mehr schlecht als recht schlägt er sich mit dem Handel von getrockneten Tomaten durch, die er nach Europa exportiert. Die Einnahmen seien bescheiden, da er am unteren Ende der Handelskette steht. Trotz der Größe der Stadt leben hier laut David nur 2 oder 3 weitere Ausländer aus dem Westen und aus diesem Grund ist David überall bekannt. Bald bekam auch ein Reporter Wind von unserer Anwesenheit und es erschien auch ein Artikel über uns in einer renommierten Zeitung in Korla.

Die Lebenshaltungskosten in Korla sind gering, bei einem Besuch in einem guten Restaurant kommt man mit Getränken für 2 Personen auf umgerechnet 3 Euro, eine Taxifahrt kostet nur 50 Cent. 50 Prozent Alkohol oder mehr hat auch der sehr beliebte und widerlich nach Medizin schmeckende chinesische Schnaps "White Wine", ein halber Liter ist selbst in guten Restaurants schon ab 1 Euro zu haben. Hierzulande wird gerne und viel getrunken, auf fast jedem Tisch steht abends eine Flasche und in den Restaurants kann es deshalb sehr laut werden. Die Chinesen sind sehr gastfreundliche und höfliche Menschen und oft werden wir zum Essen eingeladen. Für uns ungewohnt, die meisten Restaurants haben separate Räume mit einem großen runden Tisch. Auf dem Tisch befindet sich eine drehbare Glasscheibe auf der verschiedene Gerichte serviert werden, von denen sich jeder bedienen kann. Das macht das Essen sehr abwechslungsreich. Allerdings sind Spezialitäten wie Eselfleisch, Gänsehälse oder Fischköpfe gewöhnungsbedürftig. Zum Glück wurden wir von gekochtem Hund verschont, der hier ebenfalls angeboten wird.

Während wir auf unseren Rahmen warteten, vertrieben wir uns die Zeit mit chinesisch lernen. Die Sprache ist uns völlig fremd und hat nichts mit der unsrigen gemein. Es gibt sehr viele Worte mit der gleichen Aussprache aber in vier verschiedenen Tönen. Trifft man nicht den richtigen Ton wird man missverstanden. Ohne Lehrer ist es fast unmöglich sich diese Sprache anzueignen. Hinzu kommt, dass die chinesischen Schriftzeichen rein gar nichts mit der phonetischen Aussprache zu tun haben, was die Sache noch zusätzlich erschwert.

Die Chinesen sind Weltmeister im Fälschen und Kopieren ausländischer Markenprodukte. Hersteller hochwertiger Sportkleidung wie "Nike" oder "adidas" produzieren unter strengen Qualitätskontrollen ihre Artikel im Land der niedrigen Löhne. Aber nicht überall wo "adidas" draufsteht ist auch "adidas" drin. In der aufstrebenden Wirtschaftsmacht wird im unvorstellbaren Ausmaß gefälscht und kopiert. Urheberrechte werden dabei gnadenlos ignoriert und die geschädigten Firmen haben wenig Chancen rechtlich dagegen anzugehen. Manche Fälschungen sind so gut, dass nur Kenner Kopien vom Original unterscheiden können. Manche sind wiederum so offensichtlich, dass es zum Schmunzeln anregt.

Aus dem Whisky "Johnny Walker" wird "Johnny Worker", aus dem Modegiganten "Gucci" wird "Fucci". Kopiert werden auch Autoteile, Waschmittel, DVDs, CDs, Software, Kosmetik, Uhren etc. Betroffen sind Firmen wie Calvin Klein, Lacoste, Versace, Levis, Omega, Bosch, oder The North Face, um nur einige zu nennen.

Lina hatte im letzten Jahr, wir waren gerade in der tibetischen Hauptstadt Lhasa, mit einer Fälschung Bekanntschaft gemacht. In einem scheinbar seriösen, hochmodernen Schuhgeschäft kaufte sie sich Bergschuhe des amerikanischen Herstellers "The North Face". Die für umgerechnet 40 Euro erworbenen "Markenprodukte" fielen Lina schon nach 2 Wochen förmlich von den Füssen, so dass sie sich beinahe die Zehen erfror.

Durch das Herstellen hochwertiger Produkte zu Billigstlöhnen und die milliardenschwere Fälscherindustrie schließen in ganz Europa die Firmen, weil keiner dem Preisdruck standhalten kann. Abgesehen davon, dass die Waren oft unter unmenschlichsten Bedingungen hergestellt werden, vertrauen wir keinen der in China hergestellten "Markenprodukte", ob man ein unter Lizenz hergestelltes Qualitätsprodukt erhält oder eine Fälschung ist das reinste Lotteriespiel.

Wegen der uneingeplanten Zwangspause und den damit verbundenen finanziellen Aufwendungen geht uns langsam das Geld aus, und wir ziehen in Erwägung als Deutsch- oder Englischlehrer zu arbeiten. Die englische Sprache zu erlernen ist bei den Chinesen vor den olympischen Spielen in Beijing besonders gefragt und Lehrer werden dringend gesucht.    andreaslina@yahoo.de




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